Oder: Warum Peter Sloterdijk sein Leben ändern muss
"Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge
trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane
Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen
Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen"
Albert Schweitzer ("Ehrfurcht vor den Tieren")
Albert Schweitzer ("Ehrfurcht vor den Tieren")
Von den Philosophen können sich die geschundenen
Tiere in unserer Gesellschaft wohl am wenigsten Rettung erhoffen. Die Zunft der
Denker schwadroniert zwar allzu gerne von Ethik und Moral, auch wenn es um das
Verhältnis zwischen Mensch und Tier geht; wenn es aber konkret wird, entpuppt
sich ihr Gerede leider viel zu oft als heiße Luft, entlarven sich ihre hehren
Gedanken als leere Worthülsen.
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Foto: ulitie / pixelio.de |
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden
interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern." Der berühmte Satz von
Karl Marx kommt mir unweigerlich in den Sinn, wenn ich an den Philosophen Peter
Sloterdijk denke. Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass jede Veränderung
zunächst von einem selbst ausgehen
muss. Wie wollen wir Missstände anprangern, wenn wir selbst ein Teil davon
sind? "Wasser predigen und Wein
trinken" ist noch so eine bekannte Redewendung, die gut auf Sloterdijk
anwendbar ist - wobei es hier überhaupt nicht um alkoholische Getränke geht. In
diesem Fall müsste es heißen: "Tierrechte predigen und Fleisch essen."
Denn Sloterdijk ist ein durchaus profilierter Kopf in Sachen
Tier und Mensch. Als Schirmherr der "Albert Schweitzer Stiftung für unsere
Mitwelt" stellt sich der
Kulturwissenschaftler in die erste Reihe einer Bewegung, die sich die Förderung
der Tierrechte auf die Fahnen geschrieben hat.
Der Kosmopolit Plutarch (45 – 120 n. Chr.) schreibt: "Könnt ihr wirklich die Frage stellen, aus welchem Grunde sich Pythagoras des Fleischessens enthielt? Ich für meinen Teil frage mich, unter welchen umständen und in welchem Geisteszustand es ein Mensch das erste Mal über sich brachte, mit seinem Mund Blut zu berühren, seine Lippen zum Fleisch eines Kadavers zu führen und seinen Tisch mit toten, verwesenden Körpern zu zieren, und es sich dann erlaubt hat, die Teile, die kurz zuvor noch gebrüllt und geschrieen, sich bewegt und gelebt haben, Nahrung zu nennen. (...) Um des Fleisches willen rauben wir ihnen die Sonne, das Licht und die Lebensdauer, die ihnen von Geburt an zustehen."
Der englische Philosoph und Begründer des Utilitarismus, Jeremy Bentham (1748 – 1832), formulierte als einer der ersten Befürworter von Tierrechten den entscheidenden Satz: "Die Frage hat für die Menschheit nicht zu lauten: Können die Tiere denken? Sondern sie muss zu lauten: Können die Tiere leiden?"
Als wichtigster Vertreter der zeitgenössischen Tierrechtsbewegung ist wohl der australische Philosoph Peter Albert David Singer zu nennen. In seinem 1975 verfassten Werk "Animal Liberation" (Die Befreiung der Tiere), das zu einem Klassiker der Tierrechtsbewegung wurde, beschreibt er die Diskriminierung und Ausbeutung von Tieren durch den Menschen aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit (Speziesismus). Singer wird als Mitbegründer der modernen Tierethik angesehen.
"Er schaut sich alles an, auch die allerunangenehmsten
Sonderfälle, und lässt sich auf Dinge ein, an denen sich andere Leute
vorbeischummeln, um sich ein harmloseres Weltbild bewahren zu können", sagt
Sloterdijk über Singer in einem Interview mit der österreichischen Zeitung der
Standard. Auf die simple Frage, "sind Sie Vegetarier?" antwortet er: "Nein.
Aber wir schränken den Fleischkonsum ein wenig ein." Ein einfaches und ehrliches "Nein" hätte es auch getan. Den
Fleischkonsum "ein wenig einschränken" – das ist also die wegweisende Antwort
des großen Philosophen Sloterdijk auf die Tierrechtsfrage. Noch vor über zehn
Jahren prognostizierte er, dass die jüngeren Menschen in der Bevölkerung sich
gegen die Tiermisshandlungen der industriellen Fleischproduktion wenden würden.
Aber wie kann man Hoffnungen auf andere
richten, wenn man selbst nichteinmal dazu bereit ist, sein Leben entsprechend zu
ändern?
Ausgerechnet "Du musst dein Leben ändern" lautet eines
seiner Essays. Peter Sloterdijk, hiermit fordere ich dich auf: Fang bei dir
selbst an, ändere dein Leben! Dann kannst du auch Interviewfragen offen und
ehrlich beantworten. Für den Anfang: Ändere deine Ernährungsgewohnheiten, höre
damit auf, Tiere zu essen. Du musst es nur wollen – das ist der Weg vom Sollen zum Sein.
Verdrängungskünstler
Ähnlich inkonsequent wie Sloterdijk laviert sich der Philosoph Robert Spaemann im Gespräch mit Richard David Precht durch die Tierrechtsthematik. So hält er es zwar für "verwerflich und unmoralisch, Tieren absichtlich Leid zuzufügen", im selben Atemzug aber hält er es für gerechtfertigt, Tiere zu töten ("weil Tiere keine Biographie haben"). Genau damit fügt er aber dem Tier vermeidbares Leid zu. Seine revolutionäre Konsequenz aus dem Umstand der vorherrschenden grausamen Massentierhaltung: "Ich esse nicht mehr jede Form von Fleisch". Auf diesen Minimalkonsens könnte sich wohl jeder Fleischesser einigen, denn wer isst schon "jede Form von Fleisch". Dann wiederum meint er, Menschen dürften immerhin keine Primaten töten. Weil die doch recht schlau seien. Es komme aber nicht auf die Intelligenz, sondern auf die Leidensfähigkeit eines Lebewesens an, hält ihm Precht entgegen. Da flüchtet sich Spaemann in stumpfen Speziesismus: Allein die Tatsache Mensch zu sein, nicht Vernunft oder Leidensfähigkeit, entscheide, ob ein Lebewesen getötet werden darf oder nicht. Dann gibt er zu, dass jede Tötung mindestens einen Augenblicksschmerz verursacht. Es bleibt letztlich bei einem vagen "es kommt immer darauf an", so das erschreckend nichtssagende Fazit des Philosophen Spaemann. Mal sagt er so, dann wieder so, Tiere töten ist irgendwie schlecht, aber dann auch wieder irgendwie nicht, er biegt sich die Welt immer so zurecht, wie es ihm gerade passt.Precht bilanziert daraufhin: "Es ist unserer Verdrängungskunst geschuldet, dass es nicht mehr Vegetarier gibt". Und weiter: "Das, was unter der Decke stattfindet, das Treiben in den Schlachthäusern ist eine Grausamkeit, ein industrieller Tiertod unvorstellbaren Ausmaßes, viel brutaler als in den Zeiten des Barock. Wenn wir das tagtäglich vor Augen geführt bekommen, würden wir entweder wieder verrohen oder wir würden sofort sagen: Das muss alles abgeschafft werden!" Es scheint, dass auch die Philosophen wahre Meister in der Kunst des Verdrängens sind. Hauptsache der eigene alteingefahrene Lebensstil wird nicht hinterfragt. Und selbst Precht gesteht, seine Predigten nicht konsequent zu praktizieren: Denn "dann wäre man nicht nur Vegetarier, sondern Veganer" - und das ist auch dem lederschuhtragenden Moralisten zu anstrengend.
Die heutigen Mainstream-Philosophen scheinen unfähig, brauchbare Antworten auf drängende Probleme unserer Zeit zu finden – zugunsten der eigenen Bequemlichkeit. Von der Vorbildfunktion ganz zu schweigen. Bleibt die Frage: Wofür brauchen wir sie eigentlich, die Philosophen?
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